Ausgewählte Probleme des Entwurfs
Zweites Gesetz zur Änderung hochschulrechtlicher Bestimmungen
von
Rechtsanwalt u. Betriebswirt
Dr. Georg Brüggen
Staatsminister a. D.
Der Text dieser Stellungnahme bezieht sich gleichermaßen auf männliche und weibliche Personen. Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird auf die sog. zweifache Schreibweise verzichtet. Selbstverständlich sind damit gleichwohl jeweils alle Geschlechter gemeint.
Inhaltsverzeichnis
1.1. Die Rückkehr des Dezemberfiebers und Autonomieverluste
1.2. Wird der Dekan der Vorgesetzte der Mitarbeiter?
1.3. Verfassungsrechtlich bedenkliche Wahlvorschlagsbildung bei der Rektorwahl
1.4. Vorprogrammierte Blockademöglichkeit bei der Rektorwahl
1.5. Zerbrechen der einheitlichen Hochschulratskonzeption
1.6. Missglückte Vorgaben für die Hochschulratsbildung
1.7. Hochschulallianzen
Ausgewählte Probleme
1.1 Die Rückkehr des Dezemberfiebers und Autonomieverluste
Nach der aktuellen Rechtslage sollen nicht verbrauchte Zuschüsse „einer Rücklage zugeführt werden und stehen der Hochschule zur Erfüllung ihrer Aufgaben zusätzlich zur Verfügung.“¹Nunmehr soll in das Gesetz die Formulierung eingefügt werden: „Das Staatsministerium soll der Hochschule nicht verbrauchte Zuschüsse zur Erfüllung ihrer Aufgaben zusätzlich zur Verfügung stellen. Die nicht verbrauchten Zuschüsse sind von der Hochschule einer Rücklage zuzuführen.“² Aus der Soll-Rücklagenbildung wird eine Muss-Rücklagenbildung, aber die Verwendbarkeit der Mittel für die Rücklagenbildung wird von einer Entscheidung des Ministeriums abhängig gemacht.
Es handelt sich zwar um eine Soll-Vorschrift („… soll der Hochschule nicht verbrauchte Zuschüsse zur Erfüllung ihrer Aufgaben zusätzlich zur Verfügung stellen“), aber die mittel verwaltenden Stellen in den Hochschulen wissen künftig nicht mehr, ob das Ministerium eine positive Entscheidung zugunsten einer Rücklagenbildung treffen wird. Bislang oblag die Soll-Entscheidung dem Ministerium. Das wird dem Dezemberfieber wieder unnötigen Vorschub leisten. Eine Situation, die mit der Budgetierung und der Einführung des doppischen Systems eigentlich überwunden werden sollte. Es ist auch ökonomisch und rechtlich wenig überzeugend, warum den Hochschulen durch Zuschuss zugewandte Mittel ihnen entgegen dem Sinn und Zweck der Budgetierung entzogen wird, um es ihnen erneut „zusätzlich zur Verfügung“ zu stellen.
Nicht die Rückkehr zum Dezemberfieber und einer rückwärtsgewandten kameralen Betrachtungsweise der Hochschulzuschüsse³ und Gängelei der Hochschulen, sondern ein modernes Verständnis einer Rücklagenbildung⁴ i. S. v. § 266 Abs. 3 HGB für die Erst-, Zweit- und Drittmittel der Hochschulen wäre der richtige Weg, sofern diese Mittel nicht ohnehin als Verbindlichkeiten oder Rückstellungen einzuordnen sind. Wie soll eine Hochschule:
• eigenverantwortlich die Zukunft gestalten und planen, ohne echte (eigene) selbstbestimmte Rücklagen bilden zu können?
• für eigene Fehler haften, wenn sie keine selbstbestimmten zweckgebundenen Rücklagen bilden kann?
• die Eigenmittel für Forschungsprojekte aufbringen, ohne selbstbestimmte Rücklagen bilden zu können?
Die Alternative: Für die kaufmännisch wirtschaftenden Hochschulen bleibt es bei der Ist-Regelung. Darüber hinaus sollten Rücklagen als echte Rücklagen nach HGB und nicht als Abführungspflicht zugunsten der staatlichen Rücklage verstanden werden. Für die kameral wirtschaftenden Hochschulen könnte es ebenfalls bei der Ist-Regelung mit der Maßgabe verbleiben, dass das Geld nicht in die Rücklage des Staates umgebucht wird, sondern die Hochschulen eigene kamerale Rücklagen bilden.⁵
Formulierungsvorschlag für § 12 Abs. 6 Satz 3 ff. neu:
„Nicht verbrauchte Zuschüsse werden einer Rücklage zugeführt und stehen der Hochschule zur Erfüllung ihrer Aufgaben zusätzlich zur Verfügung. Für die nach Absatz 1 Satz 1 wirtschaftenden Hochschulen wird die Rücklage in entsprechender Anwendung der handelsrechtlichen Bestimmung des § 272 Abs. 3 HGB und für Hochschulen im Sinne von Absatz 5 als zweckgebundene Rücklage im Sinne von § 7a Abs. 3 Nr. 6 SäHO gebildet.“
1.2 Wird der Dekan der Vorgesetzte der Mitarbeiter?
Aktuell legt das Gesetz fest: „Wissenschaftliche und künstlerische Mitarbeiter sind einer Fakultät, Zentralen Einrichtung oder dem Aufgabengebiet eines Hochschullehrers zugeordnete Beschäftigte, die wissenschaftliche oder künstlerische Dienstleistungen in Wissenschaft, Kunst, Forschung, Lehre und Weiterbildung in den medizinischen Fächern zusätzlich in der Krankenversorgung erbringen.“ In der Praxis ist die Zuordnung zu einer Fakultät eher die Ausnahme, sofern übergreifende Aufgaben zu erledigen sind, die über die Grenzen der Professur hinausgehen. Nach dem Gesetzentwurf sind künftig die künstlerischen und wissenschaftlichen Mitarbeiter „… in der Regel einer Fakultät oder Zentralen Einrichtung …“⁶ zugeordnet. Das stellt das tatsächlich bestehende Zuordnungssystem auf den Kopf. Damit werden der Dekan und der Leiter der Zentralen Einrichtung zum Vorgesetzten der Mitarbeiter. Eine solche Vorgesetztenfunktion auszuüben, dürfte bei großen Fakultäten rein zahlenmäßig die betroffenen Dekane überfordern. Sollte demgegenüber mit der „Leitung des Aufgabengebietes“ der zuständige Professor gemeint sein, so bedürfte es der Klarstellung, dass er der Vorgesetzte ist. Dann würde aber die Gesetzesänderung keinen Sinn machen. Es sollte erwogen werden, die gegebene Rechtslage nicht zu verändern.
1.3 Verfassungsrechtliche bedenkliche Wahlvorschlagsbildung bei der Rektorwahl
Die im Gesetzentwurf vorgesehene Kandidatenfindung durch die Vereinigung von „mindestens drei“ der sechs Stimmen für einen Bewerber⁷ ist bereits verfassungsrechtlich höchst bedenklich für ein Verfahren der Bestenauslese im Rahmen der deskriptiven Ausschreibungskriterien. Die Zulassungsentscheidung, die anhand der konstitutiven Kriterien erfolgen muss, ist aber keine Ermessensentscheidung und die Trennung zwischen der Zulassung zum Auswahlprozess (Zulassungsentscheidung) und der Auswahl durch Leistungsvergleich (Auswahlentscheidung) wird entgegen der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und der Obergerichte aufgehoben, weil in einem Abstimmungsakt entschieden wird. Die Entscheidungen, die in der Auswahlkommission getroffen werden, können von den Gerichten im Rahmen von Bewerberverfahrensansprüchen mittels Konkurrentenanträgen, anders als die Wahlentscheidungen des Erweiterten Senats, vollständig überprüft werden. Mit der im Entwurf vorgesehenen Regelung, würde der Gesetzgeber ein erhebliches rechtliches Risiko eingehen. Im Übrigen wird das System des § 54 SächsHSFG durchbrochen. Das ist möglich, führt aber ohne Not zu systematischen Brüchen und Widersprüchen.
Formulierungsvorschlag für § 87 Abs. 7 Satz neu:
„Die Kommission entscheidet über die Zulassung der Bewerberinnen oder Bewerber zum Leistungsvergleich mit der Mehrheit ihrer Mitglieder. Bei Stimmengleichheit entscheidet die Stimme der oder des Vorsitzenden. Eine Bewerberin oder ein Bewerber ist auf der Grundlage eines Vergleichs insbesondere der Eignung und Leistungsfähigkeit aufzunehmen. Hierzu bedarf es der Zustimmung von mindestens drei Mitgliedern der Kommission“.
1.4 Vorprogrammierte Blockademöglichkeit bei der Rektorwahl
Im aktuell geltenden Rektorwahlsystem zwingt eine gesetzlich angeordnete Kandidatenreduzierung den Erweiterten Senat im dritten Wahlgang zu einer Entscheidung, indem das Gesetz eine Stichwahl („findet zwischen den Kandidaten, die im zweiten Wahlgang die meisten Stimmen erhalten haben, ein dritter Wahlgang statt.“⁸) durch Mehrheitsentscheidung verlangt (gewählt ist, „… wer die Mehrheit der Stimmen erhält“⁹).
Nach dem Gesetzentwurf ist gewählt, wer die Mehrheit der Stimmen der Mitglieder und danach, „…wer die Stimmen der Anwesenden erhält.“¹° Dabei wird irriger Weise zugrunde gelegt, dass eine Stimmengleichheit die Wahl verhindern würde. Das ist eine hinreichende Annahme, aber keine ausreichende Sachverhaltserfassung. Die Mehrheit der Anwesenden wird auch nicht erreicht, wenn es zu viele Enthaltungen gibt. Durch eine ausreichende Anzahl von Enthaltungen kann die Wahl eines neuen Rektors blockiert werden, was zu einer Verlängerung der Amtsverwesung durch den amtierenden (Noch-) Rektor führen würde. Ein denkbares Kalkül. Es sollte daher unbedingt die Beibehaltung der Reduzierungsvorschrift des § 82 Abs. 6 Satz 7 SächsHSFG erwogen werden. Dabei könnte die Reduzierung auch im vierten oder fünften Wahlgang vorgenommen werden. Daraus ergäbe sich im Interesse einer Entscheidungsfindung und zur Vermeidung von Blockaden eine Reduzierungskaskade, die wie folgt dargestellt werden kann:
Formulierungsvorschlag für § 87 Abs. 9 Satz 5 neu (bei Streichung der Sätze 6 u. 8 Gesetzentwurf):
„Kommt eine Wahl auch im dritten Wahlgang nicht zustande und enthält der Wahlvorschlag mehr als einen Kandidaten, findet zwischen den Kandidaten, die im dritten Wahlgang die meisten Stimmen erhalten haben, ein vierter Wahlgang statt. In diesem ist gewählt, wer die Mehrheit der Stimmen erhält.“
1.5 Zerbrechen der einheitlichen Hochschulratskonzeption
Aktuell gibt das Gesetz für die Zusammensetzung des Hochschulrats vor, dass „bis zu einem Viertel dieser Anzahl, mindestens jedoch 2 Mitglieder des Hochschulrates, … Mitglieder oder Angehörige der Hochschule sein“ können.¹ ¹ Die gesetzliche Regelung beinhaltet also eine Höchstbegrenzung der sog. internen Hochschulratsmitglieder (höchstens ein Viertel der Mitglieder) und macht zugleich eine Mindestvorgabe (mindestens zwei Mitglieder). Das führt dazu, dass ein Hochschulrat
• von fünf Mitgliedern wegen der Mindestregelung zwei interne Mitglieder hat,
• von sieben Mitgliedern wegen der Mindestregelung zwei interne Mitglieder hat,
• von neun Mitgliedern wegen der Viertel-Deckelung zwei interne Mitglieder hat,
• von 11 Mitgliedern wegen der Viertel-Deckelung zwei interne Mitglieder hat
Wenn die Vierteldeckelung entfällt, werden die Senate im Zweifel für ihre Kontingente von 3, 4 und 5 Mitgliedern (bei den kameral wirtschaftenden Hochschulen) und von 2, 3, 4 und 5 Mitgliedern (bei den kaufmännisch wirtschaftenden Hochschulen) nur noch interne Mitglieder vorschlagen. Zumindest ist dies sehr wahrscheinlich. Der Hochschulrat würde bei den kameral wirtschaftenden Hochschulen zu einem Gremium werden, dass durch interne Mitglieder dominiert würde.
Der Hochschulrat ist nicht als kollegiales Selbstverwaltungsorgan der Hochschule, sondern im Interesse der größeren Sachgerechtigkeit als Kooperationsgremium konzepiert worden, das anstelle des Staates die Funktion des Kooperationspartners bei den kondominialen Hochschulausgaben übernommen hat, die vormals der gemeinsamen Entscheidungsfindung von Hochschule und Staat unterlagen. Wenn für die kooperative Aufgabenerledigung für einen stärkeren Einfluss der kollegilaen Hochschulselbstverwaltung geöffnet würde, dann würde der Zweck der kooperativen Aufgabenerledigung, wie ihn das Bundesverfassungsgerichts mit dem Bemühen „… von zwei Willensfaktoren bei einem Akt beteiligt sind, um in wechselseitiger Korrektur dessen größtmögliche Sachrichtigkeit zu erzielen“,¹² b geschrieben hat, verloren gehen.
Der bisherigen Grundkonzeption würden die unterschiedlichen Hochschulräte künftig nur noch bedingt entsprechen können. Zudem könnten kameral wirtschaftende Hochschulen eine Mehrheit von internen Mitgliedern bekommen, die Mitglieder oder Angehörige der Hochschule sind, während die kaufmännisch wirtschaftenden Hochschulen eine Mehrheit von externen Mitgliedern im Hochschulrat hätten. Von diesen Folgen ist in der Gesetzesbegründung mit keinem Wort die Rede. Diese Folgen führen zu erheblichen Wertungswidersprüchen und zerstören die Kohärenz der bisherigen Hochschulratskonzeption. Um diese Folgen zu vermeiden, müsste das Gesetz in seiner aktuellen Fassung belassen werden. Etwas anderes würde gelten, wenn der mittelfristige Ausstieg aus der bisherigen Konzeption angestrebt werden soll. Dann sollte dies aber einschließlich der entsprechenden Zielfunktion in der Gesetzesbegründung klar zum Ausdruck gebracht werden. Andernfalls sollte die bestehende Obergrenze im Gesetz verbleiben.
1.6 Missglückte Vorgaben für die Hochschulratsbildung
Der neu eingefügte Satz „Hat der Hochschulrat elf Mitglieder, kann ein weiteres Mitglied oder eine weitere Angehörige oder ein weiterer Angehöriger der Hochschule Mitglied im Hochschulrat sein“¹ ³, macht nur dann Sinn, wenn es bei der Deckelung (vgl. Kapitel zuvor) bleibt, weil dann bei einem Hochschulrat von 11 Mitgliedern drei statt nur zwei Mitglieder interne Mitglieder sein können. Es sollte daher unbedingt erwogen werden, Satz 2 in seiner aktuellen Fassung aus den Gründen, die im Absatz zuvor dargestellt wurden, zu belassen. Dann würde der neue Satz 3 auch Sinn ergeben.
1.7 Hochschulallianzen
Für die bestehenden Hochschulallianzen i. S. v. § 97 des Gesetzentwurfs fehlt eine Übergangsbestimmung. Für diese wäre eine Anzeigepflicht ausreichend.
¹ § 11 Abs. 6 Satz 3 SächsHSFG.
² § 12 Abs. 6 Satz 4 u. 5 Gesetzentwurf.
³ Das Ministerium versteht die Rücklagenbildung nicht im handelsbilanzellen Sinne, sondern als Verpflichtung der Hochschulen zur „Umbuchung“ nicht verbrauchter Mittel, obwohl sie die Mittel als Zuschuss erhalten haben und kein Teil des Haushaltskreises des
Freistaates sind, sondern für den Freistaat haushalterisch Dritte sind. Nach kameraler Betrachtungsweise ist eine „Rücklage“ die Ansammlung von Liquiditätsbeständen, die haushaltstechnisch bei ihrer Bildung eine Ausgabe und bei ihrer Auflösung eine Einnahme
darstellt, ohne dass es sich dabei um Ist-Einnahmen oder Ist-Ausgaben im Sinne des Kassenabschlusses handelt.
⁴ Rücklagen sind anders als Rückstellungen kein Fremd-, sondern Eigenkapital. Nach kameraler Betrachtungsweise ist eine „Rücklage“ die Ansammlung von Liquiditätsbeständen, die haushaltstechnisch bei ihrer Bildung eine Ausgabe und bei ihrer Auflösung eine
Einnahme darstellt, ohne dass es sich dabei um Ist-Einnahmen oder Ist-Ausgaben im Sinne des Kassenabschlusses handelt.
⁵ Kameral wirtschaftenden Einheiten sind Rücklagen nicht fremd, vgl. § 7a SäHO.
⁶ § 73 Abs. 1 Satz 1 Gesetzentwurf.
⁷ § 87 Abs. 7 Satz 3 Gesetzentwurf.
⁸ § 82 Abs. 7 Satz 7 SächsHSFG.
⁹ § 82 Abs. 6 Satz 8 SächsHSFG.
¹° § 87 Abs. 9 Satz 3. Gesetzentwurf.
¹ ¹ § 86 Abs. 2 Satz 3 SächsHSFG.
¹² BVerfG, Beschl. v. 16.01. 1963 – 1 BvR 316/60 –, BVerfGE 15, 256-268, 264.
¹³ § 91 Abs. 2 Satz 4 Gesetzentwurf.